Luther wird wieder gebraucht!
Publizist Stephan Richter beim VEK-Jahresempfang zu Lebensgefühl und Menschenbild im digitalen Zeitalter
Rendsburg, 16.06.2016. Der diesjährige Jahresempfang des Verbandes Evangelischer Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein e.V. (VEK) am vergangenen Dienstag (14. Juni) drehte sich um die Frage: „Menschenskind! Wo willst du hin?“ Stephan Richter, Publizist und langjähriger Sprecher der Chefredakteure der „medien holding: nord“, gab den Gästen aus der Evangelischen Kitalandschaft sowie aus Kirche, Politik und Gesellschaft mit seinem ‚Zwischenruf‘ wichtige Impulse.
Richter zog Parallelen von der Bedeutung Martin Luthers für Aufklärung, Demokratie und Freiheit seit der Reformation vor 500 Jahren bis heute zu den Herausforderungen im digitalen Zeitalter. Ein Martin Luther heute würde die Technik- und Ökonomiegläubigkeit der Wohlstandsgesellschaften attackieren und gegen die zunehmende Abhängigkeit der Menschen von Computern und ihren Algorithmen an die Freiheit des Christenmenschen erinnern, meinte Richter. „Vor der Reformation müssen sich viele Christen der Kirche ausgeliefert und von ihr entmündigt gefühlt haben. Martin Luther hat dies geändert. Heute fühlen sich viele Menschen von der Technik und der Ökonomisierung aller Teile der Gesellschaft entmündigt und ihr ausgeliefert. Luther wird wieder gebraucht“, erklärte der Publizist.
Das Denken könnten wir in Zukunft vielleicht den Computern überlassen, so ein Fazit des Journalisten, aber ethische Verantwortung dürften wir nicht an sie abtreten. Er führte das Beispiel komplett elektronisch gesteuerter Autos an. Sie verfügen über Programme, die im Falle eines Hindernisses einen Bremsvorgang einleiten oder das Auto in eine andere Richtung lenken. Was aber, wenn auf der Straße vor so einem Auto plötzlich ein Kind auftauche, links Gegenverkehr, rechts Personen auf dem Gehsteig, zum Bremsen ist es zu spät? Könne dann ein Computerprogramm dem Menschen die Entscheidung abnehmen?
„Der Computer mag rechnen und denken, so viel er will. Aber eines hat er nicht – eine Seele. Diese werden auch selbstlernende Computer nicht erreichen. ‚Ich habe eine Seele, also bin ich‘, wäre dann ein neuer philosophischer Leitsatz“, so Richter. „Er würde den Menschen wieder stärker in den Mittelpunkt stellen, so wie es Luther tat.“
Stephan Richter warnte auch davor, alles für bare Münze zu nehmen, was wir aus dem Internet erfahren, und bezweifelte die sozialen Eigenschaften der sogenannten „sozialen Netze“. „Gerade junge Menschen, die in die Obhut der Kitas kommen, sollten wissen, dass eines Tages nicht der Zugang bei Facebook ihre Persönlichkeit ausmacht, sondern dass jeder Mensch eine einzigartige Persönlichkeit ist, in christlicher Sicht ein Abbild Gottes“, wünscht sich Richter.
Den Evangelischen Kindertageseinrichtungen gab Richter mit auf den Weg, dieses Bewusstsein den Kindern zu vermitteln: „Ich wünsche mir, dass die Kitas mithelfen, dass aus jungen Menschen Persönlichkeiten werden, die nicht darauf schauen, wie viele Freunde sie bei Facebook, Twitter oder Instagram haben, sondern die sich angenommen fühlen – auch wenn sie keinen Internetanschluss haben sollten.“
„Haben wir auch heute – 500 Jahre nach der Reformation – keine Angst vor Veränderungen. Technologischer Fortschritt ist notwendig, um die großen globalen Herausforderungen – vom Hunger bis zum Klimawandel – in den Griff zu bekommen. Nur vergessen wir darüber die Verantwortung nicht“, so Richters abschließender Appell an die Gäste des VEK-Jahresempfangs.
Einführung der Mitarbeiterinnen Sonja Claußen, Michaela Vaupel und Maren Wulff
Ein weiterer Programmpunk der Veranstaltung: Im feierlichen Rahmen wurden die Mitarbeiterinnen Sonja Claußen, Michaela Vaupel und Maren Wulff in ihren Dienst in der Verwaltung der VEK-Geschäftsstelle in Rendsburg eingeführt. Ein Reisesegen begleitete die Gäste auf ihrem Heimweg.